Das Ausrufezeichen als Politikersatz

Satzzeichen strukturieren Sprache. Eigentlich. Kommata gliedern Sätze in mehr oder weniger gut verständliche Sinneinheiten. Zumindest, wenn sie korrekt verwendet werden. Fragezeichen machen deutlich, dass eine Frage gestellt wird. Ausrufezeichen beschließen, wie der Name schon sagt, Ausrufe. Daneben verleiht das Ausrufezeichen laut Duden „dem Vorangehenden einen besonderen Nachdruck“.


Gegen letzteres gibt es nichts einzuwenden, wenn es um Aussagen geht wie „Herzlichen Glückwunsch!“ oder „Frohes neues Jahr!“ Allerdings findet sich diese Verwendung – leider – zunehmend auch in politischen Texten oder Texten, die vorgeben, politisch zu sein. Mir war das schon immer ein Gräuel, weil ich davon ausgehe, dass Menschen, die politische Texte lesen, durchaus in der Lage sind, selbst zu entscheiden, welche Aussagen sie besonders wichtig finden oder eben auch nicht. Die Verwendung des Ausrufezeichens, um vermeintlich besonders wichtige politische Aussagen zu unterstreichen, stellt insofern in meinen Augen eine gewisse Entmündigung der Leser_innen dar. Die gewählte Form, in der Sprache eingesetzt wird, verrät somit gleichzeitig viel über die Anwender_innen.

1, 2, 3, viele Ausrufezeichen!!!

Der abgebildete Screenshot zeigt die Selbstbeschreibung von PEGIDA auf deren Facebook-Seite
Selbstbeschreibung von PEGIDA auf deren Facebook-Seite (Screenshot)

PEGIDA, LEGIDA, CEGIDA, DDfE und Co. demonstrieren derzeit eine weitere Verwendung. Geradezu inflationär kommt das Ausrufezeichen in diesem Zusammenhang zum Einsatz, (fast) jeder noch so banale Satz wird durch ein solches beschlossen. Wenn ich auf die Selbstbeschreibung von PEGIDA auf deren Facebook-Seite schaue, wimmelt es da von Ausrufezeichen. 13 Sätze hat PEGIDA als Selbstbeschreibung zusammenbekommen. Zehn Sätze enden mit einem Ausrufezeichen, lediglich drei enden mit einem Punkt. Und trotzdem schafft es PEGIDA in diesem kurzen Text gleich sechzehn Ausrufezeichen unterzubringen. Warum? Weil es neben den „wichtigen“ Sätzen (enden mit einem Punkt) und den „sehr wichtigen“ Sätze (enden mit einem Ausrufezeichen) auch noch die „super-duper exorbitant wichtigen“ Sätze gibt. Und die werden von gleich drei Ausrufezeichen beschlossen.

Bild des so genannten 6-Punkte-Programms von PEGIDA
Ob 6- oder 19-Punkte: Es mangelt nicht an Ausrufezeichen bei PEGIDA.

Auch das zwischenzeitlich ausgegebene „6-Punkte-Programm“ von PEGIDA (vorher und nachher galt und gilt ein „19-Punkte-Programm“, aber dazu gleich mehr) ist gekennzeichnet vom reichlichen Einsatz des Ausrufezeichens. Auf neun Sätze kommt dieses „Programm“, von denen zwei mit einem Punkt enden und sieben mit einem – man ahnt es – Ausrufezeichen. Immerhin fein säuberlich nur eines pro Satz. Das „19-Punkte-Programm“ wiederum besteht aus zwanzig Sätzen. Drei davon enden ohne jedes Satzzeichen, einer mit einem Punkt und die restlichen sechzehn mit einem Ausrufezeichen.

Auch die PEGIDA-Renegaten von Direkte Demokratie für Europa (DDfE) sind da nicht anders, was in meinem letzten Blog-Eintrag schon angeklungen ist. Immerhin achtzehn Sätze umfasst das 7-Punkte-„Positionspapier“. Ganze zwei Sätze enden mit einem Punkt, die anderen sechzehn mit einem Ausrufezeichen.

Das Ausrufezeichen als rhetorische Überwältigung

Mal davon abgesehen, dass die Bezeichnungen „Positionspapier“ und „Programm“ im Zusammenhang mit PEGIDA und Co. reichlich hochgegriffen sind, weil es sich eigentlich lediglich um eine Sammlung von Phrasen und Schlagworten handelt, zeigt dies recht gut, was ich unter einem inflationären Einsatz des Ausrufezeichens verstehe. Nahezu jedem Satz wird so von den Verfasser_innen der Papiere eine Bedeutung beigemessen, die bei genauerer Betrachtung überhaupt nicht gegeben ist. Rhetorische Überwältigung ist wohl die richtige Beschreibung der von PEGIDA und Co. geübten Praxis. Die durch das Ausrufezeichen kraftvoll vorgetragenen Phrasen und Parolen ersetzen die politische Analyse der gesellschaftlichen Realität, das Ausrufezeichen verleiht den eigenen doch recht offenkundig menschenfeindlichen Vorurteilen Autorität. Es deutet an: Widerspruch, Argumente und Fakten sind zwecklos. All diese „Forderungen“, „Programmpunkte“ und „Positionen“ bleiben also im Kern inhaltsleer und sind im wesentlichen darauf gerichtet, Vorbehalte gegen Minderheiten und parlamentarische Demokratie zu wecken. Das Ausrufezeichen dient hier als Politikersatz.

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